Einleitung
Du kennst den Begriff der Literaturepochen aus dem Deutsch-Unterricht und weißt wahrscheinlich schon, wie wichtig es in diesem Fach ist, die Epochen zu kennen. Sie spielen nämlich in der Einordnung von Texten eine zentrale Rolle, nicht nur in der Lyrik, sondern auch in der Epik und Dramatik.
Zum Epochen-Begriff
Aber, was bedeutet der Begriff „Literaturepoche“ eigentlich? Epoche kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Abschnitt“. Es geht also um zeitliche Abschnitte, die die Literatur beeinflusst haben. Wenn du die Merkmale der Epoche und den historischen Kontext kennst, hilft es dir einen Text zu analysieren. Denn die Werke einer Epoche greifen im Regelfall auch die Motive, die zu dieser Zeit bekannt waren, auf.
Wir geben dir im Folgenden einen kurzen Überblick zu den Epochen, in dem du allgemeine Informationen findest, die dir bei der Interpretation jeder Gattung helfen können.
Barock (1600-1720)
Zeithistorischer Hintergrund
- Dreißigjähriger Krieg (1618-1648)
- Politischer, wirtschaftlicher, kultureller Verfall
- Folge: viele Todesopfer → Angst vor dem Tod
- Pest
- Restauration (=Wiederaufbau) führte zu absolutistischem Territorialstaat (= Staat ist in mehrere Bereiche aufgeteilt, in denen jeweils Fürsten die absolute Regierungsmacht haben)
- Ständegesellschaft → gesellschaftliche Hierarchie
- 1. Schicht: Klerus (=Geistliche), 2. Schicht: Adel, 3. Schicht: Bauern und das Bürgertum
Weltbild
- Glaubensspaltung: religiös vs. irdisch
- Widersprüche und Zerrissenheit
- Lebenslust ist stets der Gewissheit ihrer Endlichkeit überschattet
- Rationalismus → Geometrie, Mathematik und Naturwissenschaften gewinnen an Bedeutung
- Natur als gesetzesfolgender Mechanismus
Leitmotive
- „memento mori“ („Bedenke, dass du sterben musst“)
- „carpe diem“ („Nutze den Tag“)
- „vanitas“ („Eitelkeit/Nichtigkeit und Vergänglichkeit von allem Irdischen“)
Sprache und Stil
- Strenge Regelpoetik
- Wortspiel, Rhetorik, Metaphorik, Symbolik
- Antithetik (=Gegenüberstellung von Gegensatzpaaren) → Diesseits - Jenseits, Schein - Sein, Lebensgier - Todesbewusstsein
- Äußere Ästhetik → Sonett, Alexandriner
Literatur
- Gedichte → Sonette, Figurengedichte
- Fabeln
- Märchen
Wichtige Autor:innen
- Andreas Gryphius
- Martin Opitz
- Jakob von Grimmelshausen
Aufklärung (1720-1800)
Zeithistorischer Hintergrund
- Historische Umbrüche
- Französische Revolution (1789)
- Beendigung des Absolutismus
- Säkularisierung (=Verweltlichung) → Trennung von Kirche und Staat
Weltbild
- Gesellschaftliche Werte: Gleichheit, Freiheit und Vernunft
- Forderung nach Menschenrechten, Toleranz und Selbstbestimmung
- Deismus (=Vorstellung von einem Gott, der die Welt erschaffen hat, sie aber nicht mehr beeinflusst)
- Rationalismus
Leitmotive
- Bildung, Fortschritt, Selbstbestimmung und Vernunft
- Tugend, Moral, Erziehung
- Moralische Werte: Toleranz, Gleichwertigkeit, Humanität
- Erkenntnisfähigkeit, Selbstverantwortung, Mündigkeit → Emanzipation durch Verstand
- Religions- und Ständekritik
Sprache und Stil
- Klare, einfache Sprache
- Kein Pathos
- Lyrik:
- Antike Gedicht- und Versformen
- Lehrgedichte
- Hymnen
- Verwendung von Blankvers (ungereimter, jambischer Fünfheber)
Literatur
- Belehrende Literatur
- Fabel, Parabeln, Dramen, Erziehungsromane
- Theater und Salons
Wichtige Autor:innen
- Immanuel Kant
- Christoph Martin Wieland
- Christian Geller
- Gotthold Ephraim Lessing
Sturm und Drang (1765-1785)
Zeithistorischer Hintergrund
- Unterströmung der Aufklärung/ Gegenbewegung zur Aufklärung
- Epoche beschränkt sich auf Deutschland
- Deutschland bestand aus vielen Kleinstaaten
- Jugendbewegung
Weltbild
- Rebellion gegen Autorität und Väter
- Gegenbewegung zur Aufklärung
- Gefühl steht im Fokus
- Geniekult
- Subjektivismus
- Emotion
- Kritik an der Ständegesellschaft
Leitmotive
- Emotion, Affekt und Gefühl
- Subjektivismus → das Individuum steht im Fokus
- Pantheismus (Einheit von Gott und Natur)
- Geniekult
- Freiheitspathos
- Naturenthusiasmus, Idylle
- Liebes- und Freundschaftskult
Sprache und Stil
- Gefühlsbetont und ausdrucksstark
- Gefühlsausbrüche und leidenschaftliche Reden
- Häufig schwärmerischer Stil
- Unvollendete Sätze, Ausrufe oder Kraftausdrücke
- Häufige Stilmittel: Metaphern, Hyperbeln, Lautmalerei, Ellipsen
Literatur
- Erlebnislyrik
- Freie Rhythmen
- Liedhafte Strophen
- Tragödie
- Schauspiel
- Tragikomödie
- Lied
- Ballade
Wichtige Autor:innen
- Johann Wolfgang von Goethe
- Friedrich Schiller
Weimarer Klassik (1786 – 1832)
Zeithistorischer Hintergrund
- Anfang: Goethes Italienreise
- Ende: Goethes Tod
- Französische Revolution (1789)
- Herrschaft Napoleons (1799-1815)
- Wiener Kongress (1815)
- Preußische Reformen (1807-1815)
Weltbild
- Kunst- und Menschenbild der Antike
- Widersprüche zwischen Vernunft und Gefühl überwinden
- Ziel: Harmonie und Schönheit erreichen
- Kein Fokus auf Individualität → Alles soll im Universellen und Allgemeinmenschlichen aufgehen
- Vollendete Schönheit
Leitmotive
- Ideale: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
- Verloren nach der Französischen Revolution an Bedeutung
- Enttäuschung über gewaltvolle, kriegerische Entwicklung
- Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
- Enttäuschung über den Krieg
- Die schöne Seele des Menschen
- Idealisierung von Tugend, Toleranz und Humanität
- Bildung, Harmonie
Sprache und Stil
- Viele rhetorische Mittel
- Regelmäßige, kunstförmige Verssprache
- Komplexe Syntax (=Satzbau)
- Kunstvolle Anordnung der Sätze
Literatur
- Antike Formen: Tragödie, Epos, Ode, Elegie
- Bildungsroman
- Lied, Sonett, Ballade, Gedankenlyrik
Wichtige Autor:innen
- Johann Wolfgang von Goethe
- Friedrich Schiller
Romantik (1795 – 1840)
Zeithistorischer Hintergrund
- Gegenbewegung zur Aufklärung und zur Weimarer Klassik
- Revolutions- und napoleonische Kriege
- Wiener Kongress
- Industrialisierung
- Restauration
Weltbild
- Rückzug ins Innere
- Fokus auf den individuellen Menschen und seine Gefühle
- Realität wurde als bedrohlich empfunden
- Flucht in die idyllische, unberührte Natur
Leitmotive
- Idealisierung der Natur
- Idealisierung von Mittelalter und Antike
- (Alp-)traum
- Nacht
- Das Fantastische
- Schwellenmotive: Zwielicht, Dämmerung, Jahreszeiten, Fenster, Fabelwesen
- Die blaue Blume
- Sehnsucht
- Ironie
- Aufbruch und Einkehr
- Wanderschaft
Sprache und Stil
- Universalpoesie: Mischung aus Epik, Dramatik und Lyrik
- Vermischung der äußeren Form und der Themen Kunst und Wissenschaft
- Friedrich Schlegel: „progressive Universalpoesie“
- Poetisierung und Romantisierung
- Stilmittel: Symbole, Metaphern
Literatur
- Märchen, fantastische Erzählungen
- Lyrik
- Roman, Novelle, Drama
- Schauerromane → „schwarze Romantik“
Wichtige Autor:innen
- Friedrich Schlegel
- Joseph von Eichendorff
- Gebrüder Grimm
Biedermeier (1815 – 1848)
Zeithistorischer Hintergrund
- Wiener Kongress (1814-1815)
- Märzrevolution (1848)
- Restauration
- Industrialisierung
- Proteste
- Folge: Karlsbader Beschlüsse
- Zensur, Verbot von Studentenverbindungen
Weltbild
- Reaktion auf die Karlsbader Beschlüsse: Enttäuschung, Rückzug ins Private
- Idealisierung des Privaten
- Bild von einer idyllischen, geselligen und häuslichen Lebensweise
- Familie als eines der höchsten Güter
- Idealisierung der Werte Fleiß, Treue, Bescheidenheit und Pflichtbewusstsein
- Natur als Rückzugsort
Leitmotive
- Familie
- Rückzug ins Private; Idealisierung des häuslichen Lebens
- Enttäuschung über die politischen Verhältnisse
- Politisches Desinteresse
- Naturverbundenheit
- Religiosität
- Konservatives Familienbild
- Bürgerliche Werte (z. B. Fleiß, Ehre, Bescheidenheit)
- Harmonie
- Melancholie
- Liebe
- Vergänglichkeit
Sprache und Stil
- Einfache, bildliche Sprache
- Leicht verständliche Literatur
- Stil sollte das (scheinbar) friedliche, harmonische Lebensgefühl transportieren
Literatur
- Novellen
- Kurzgeschichten
- Briefe
- Märchen
- Satiren
- Tagebücher
- Reiseberichte
- Gedichte
Wichtige Autor:innen
- Eduard Mörike
- Annette von Droste-Hülshoff
- Franz Grillparzer
- Adalbert Stifter
Realismus (1848 – 1890)
Zeithistorischer Hintergrund
- Märzrevolution (1848)
- Fortschreitende Industrialisierung
- Technische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Neuerungen
- Herausbildung von Arbeiterschicht
- Maschinisierung sorgte für Armut und Arbeitslosigkeit
- Neue Wissenschaftliche Erkenntnisse:
- Schulpflicht wurde eingeführt
- Alphabetisierung (=immer mehr Menschen lernten Lesen und Schreiben)
- Urbanisierung (= Verstädterung)
- Bedeutungsverlust der Ständegesellschaft und der Großfamilie
Weltbild
- Enttäuschte revolutionäre Hoffnungen nach dem Vormärz
- Weniger Fokus auf politische Umbrüche
- Sachliche und nüchterne Weltsicht
- Individuum und seine Rolle in der sich verändernden Welt zentrales Thema
Leitmotive
- Abbildung der Realität bzw. des Wahren
- Sachliche-nüchterne Sichtweise auf die Welt (Distanz wahren)
- Individuum und seine Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft
- Metaphorische Beschreibungen von Orten und Landschaften (Regionalismus)
- Beschäftigung mit der Vergangenheit (Historismus)
- Verklärung und Beschönigung der Wirklichkeit (poetischer Realismus)
- Das Schöne im Alltag
- Humor
Sprache und Stil
- Annäherung an die Alltagssprache
- Schlichte, neutrale Sprache
- Poetischer Realismus= Verklärung der Wirklichkeit
- Stilmittel: Metaphern, Personifikationen
- Genaue Beschreibung von Details des alltäglichen Lebens, z.B. einzelne Gegenstände
Literatur
- Gattung der Epik sehr populär
- Insbesondere Romane
- Gesellschaftsroman
- Entwicklungsroman
- Reisebericht
- historischer Roman
- Novelle
- Wenig Dramatik
- Lyrik, vor allem „Dinggedichte“
Wichtige Autor:innen
- Theodor Fontane
- Gustav Freytag
- Gottfried Keller
- Theodor Storm
- Marie von Ebner-Eschenbach
Expressionismus (1905 – 1925)
Zeithistorischer Hintergrund
- Industrialisierung
- Eisenbahn, Straßenbahn, Untergrundbahn, Autobusse, Automobile
- Neue Medien
- Film, Schallplatte, Fotografie
- Urbanisierung
- Entwicklung einer modernen Industriegesellschaft
- Klassengesellschaft
- Arbeiterklasse: unbeständige Verhältnisse, politisch engagiert
- Bürgertum: konservativ
- Erster Weltkrieg (1914-1918)
- Novemberrevolution (1918-1919)
- Weimarer Republik (1918-1933)
- Novemberrevolution (1918), Versailler Vertrag (1919)
Weltbild
- Vor dem Ersten Weltkrieg: gebildete, junge Künstler:innen aus der Stadt
- Protest gegen den konservativen Lebensstil des Bürgertums und der eigenen Eltern
- Anfangs große Kriegsbegeisterung, Menschen meldeten sich freiwillig
- Überzeugung, dass ein radikaler Umbruch in der Gesellschaft bevorsteht
- Z. B. Apokalyptische Katastrophe
- Welt als handelnde Kraft, Mensch als passiv
Leitmotive
- Das Leben in der Großstadt →Reizüberflutung, Chaos, Schmutz
- Isolation, Einsamkeit
- Angst vor Identitätsverlust
- Ohnmachtsgefühl
- Fokus auf das Innenleben
- Protest gegen das konservative Bürgertum
- Sehnsucht nach einem Neuanfang → radikaler Wandel der Gesellschaft
- Brechen mit den alten Regeln
- Kriegsbegeisterung
- Entfremdung von bekannten Dingen
- Der „neue Mensch“
- Radikale Expression von Gefühlen und Wahrnehmungen
- Umkehrung der Subjekt-Objekt-Beziehung
Der Erste Weltkrieg war dann ein großer Einschnitt. Statt Kriegsbegeisterung strebten viele nun Pazifismus, also Gewaltlosigkeit und Frieden an.
Themen, die hinzukamen, waren somit: